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75. Jahrestag Kampf um Monte Cassino

18. Mai 2019
Monte Cassino/Italien, Kriegsgräberstätte

Gedenken an einem unwirklichen Ort

Monte Cassino, am 18. Mai. Die Berge hüllten sich in Nebel, von den Bäumen, die vor dem grauen Himmel besonders grün leuchten, tropfte das Wasser. An diesen Ort zu Füßen des Klosters Montecassino sind heute etwa 400 Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um jenen zu gedenken, die vor 75 Jahren an diesem idyllischen Ort in einer grausamen Schlacht ihr Leben lassen mussten. Man schätzt, dass über 20.000 Wehrmachtssoldaten und ca. 55.000 alliierte Soldaten starben, die Zahl der italienischen Zivilisten ging in die Tausende.

Polnischer Pilgerort in Italien

Von Januar bis Mai 1944 tobten heftige Kämpfe um diesen Klosterberg. Die „Gustav-Linie“, die die deutschen Wehrmachtstruppen quer durch das Land gezogen hatten, sollte den Marsch der Alliierten nach Rom aufhalten. Im Kloster selbst waren zwar keine Wehrmachtssoldaten stationiert, da 300 Meter um die Klosteranlage herum von der Wehrmacht eine neutrale Zone eingerichtet war, doch von alliierter Seite wurde eine Kriegslist vermutet. Am 15. Februar 1944 wurde das Kloster von alliierten Verbänden bombardiert. 500 Tonnen Spreng- und Brandbomben wurden über dem Kloster abgeworfen und legten es in Schutt und Asche. Eine besondere Tragik war, dass in dem Kloster Hunderte von italienischen Zivilisten Zuflucht gesucht hatten. Die erbitterten Kämpfe dauerten bis zum 18. Mai 1944, dann zogen sich die Wehrmachtstruppen geschlagen zurück.

Eine besondere Rolle bei der Einnahme des Klosterbergs spielte das 2. Polnische Korps unter General Wladyslaw Anders. Er war über viele Umwege mit zahlreichen exilpolnischen Soldaten nach Italien gekommen, um für die Befreiung Europas, vor allem auch aber Polen, von den Nationalsozialisten zu kämpfen. Er und seine Soldaten der „Anders-Armee“ eroberten in zähem einwöchigem Kampf den Klosterberg. So kommt es, dass auch heute noch viele Polen nach Monte Cassino pilgern. Dieses Jahr, am 18. Mai besuchten sogar die Präsidenten Andrzey Duda und Sergio Mattarella den polnischen Soldatenfriedhof.

Die Weltkriegstragödie im Brennglas

Auf dem deutschen Soldatenfriedhof im Stadtteil Caira liegen mehr als 20.000 deutsche Soldaten begraben. Auch hier wurde heute gedacht – und es war ein internationales Gedenken an alle Toten dieses Krieges. Zur Gedenkveranstaltung an die Schlacht von Monte Cassino vor 75 Jahren waren Angehörige, Veteranen und zahlreiche Delegationen gekommen. Blumenkränze der Botschaften Neuseelands, Australien, der Vereinigten Staaten machten deutlich, welche Reichweite der Zweite Weltkrieg erlangt hatte. Tragweite und Tragödie dieses Krieges bündelten sich an diesem Ort wie in einem Brennglas.

Versöhnungsgebet und Totengedenken

Dr. Benedetto Basile, stellvertretender Bürgermeister von Cassino betonte in seinem Grußwort die Sinnlosigkeit des Krieges. „In diesem Krieg gab es keine Gewinner und Verlierer. Verlierer war allein die Menschheit. Die Geschichte muss Lehrmeisterin unseres Lebens sein.“

Annette Walter, Gesandtin der Bundesrepublik Deutschland in Italien forderte, dass Gedenktage wie dieser nicht nur ein Teil des Geschichtsunterrichtes sein dürften, sondern dass Gedenken in unserem Alltag gelebt werden müsse.

Alles kann im Krieg verloren gehen

Der Erzabt des Klosters Monte Cassino, Donato Ogliari O.S.B. zitierte die Worte, die Papst Pius, der XII am 24. August 1939 angesichts des drohenden Krieges gesprochen habe: „Es ist die Kraft der Vernunft, nicht die Kraft der Waffen, die die Gerechtigkeit auf den Weg bringt … Im Frieden geht nichts verloren. Alles kann im Krieg verloren gehen.“ Er berichtete, dass auch bei der verheerenden Zerstörung durch die Bombardierung der Abtei die Inschrift „PAX“ nicht zerstört worden sei. Heute throne die Inschrift – als Versprechen und Warnung – über der alten Eingangstür der Abtei.

Detlef Fritzsch vom Bundesvorstand des Volksbundes warnte vor der Glorifizierung des Kämpfens und Sterbens der Soldaten. „An diesem Ort, wo Menschen tausendfach den Tod fanden, erkennen wir den Wert des Lebens“. Monte Cassino habe in den Gedenkkulturen vieler Nationen eine besondere Bedeutung. „Wir stehen hier also nicht nur an einem Ort, an dem Familien aus nahezu aller Welt den Verlust von Angehörigen beklagen, sondern wir befinden uns auch in einer Region, in der eine Zeitenwende eingeleitet wurde. Monte Cassino hat somit eine europäische Dimension.“

Die Geschichte lag vor mir in Form eines Grabes

Diese europäische Dimension wurde auch deutlich, als drei junge Teilnehmer der Volksbund-Jugendbegegnungen von ihren Erfahrungen berichteten. Wolf-Kristian Ripken erzählte, dass er während des letzten Workcamps seinen 19. Geburtstag feierte. „Am Tag meines Geburtstags saß ich vor dem Grab eines Gefreiten, der am selben Tag vor 74 Jahren 18 Jahre alt geworden wäre. … Die Geschichte war mir nicht mehr fern oder abstrakt. Sie lag vor mir in Form eines Grabes, dem Grab eines 18-jährigen Jungen. Nie habe ich eine derartige Traurigkeit, aber auch eine derartige Nähe zur Geschichte aufbauen können. Ich konnte sie fühlen, als ich die Inschriften im Grabstein nachzog.“

Rosa Sobotta erzählte, was sie aus ihren Workcamp-Erfahrungen mitgenommen hat: „Der Friede in Europa ist nicht naturgegeben, sondern muss gepflegt und immer wieder erarbeitet werden. Es ist die Aufgabe jedes Einzelnen von uns, sich für Frieden, demokratische Grundwerte und Menschlichkeit einzusetzen. Damit es in Europa keine neuen Kriegsgräber mehr geben wird.“

Das anschließende Vaterunser, das der evangelische Militärbischof, Dr. Sigurd Rink und der Erzabt von Monte Cassino, Donato Ogliari O.S.B. mit den Anwesenden sprachen, erklang in vielen verschiedenen Sprachen und betonte noch einmal die Internationalität der Gedenkveranstaltung.

Nach den Kranzniederlegungen, dem Totensignal und der italienischen und deutschen Nationalhymne wurde die Veranstaltung mit einem Empfang, zu dem der Volksbund einlud, beschlossen. Doch damit war sie nicht beendet, denn gerade hier gab es wieder besondere Begegnungen – zwischen Delegationen aus den Ländern, zwischen Veteranen und Angehörigen, zwischen Jüngeren und Älteren aus ganz verschiedenen Regionen. Menschen, die sich noch nie vorher begegneten, erfuhren durch Zufall, dass ihre Großväter sich kannten, Namen wurden ausgetauscht, Erinnerungen wachgerufen. Tränen der Rührung flossen, gleichzeitig werden Kontakte ausgetauscht, gelacht, Verabredungen getroffen und Begegnungen für die Zukunft geplant. Und zwischendrin blitzte die Sonne zwischen den Bäumen hervor. Viele waren sich einig, es war eine gelungene Veranstaltung, voller Würde, aber auch voller Emotionen. Und kann eine Gedenkveranstaltung an so einem fast mythischen Ort nicht besser enden, als wenn die Kinder und Enkel der Kriegstoten sich begegnen und verständigen können?