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170 deutsche Soldaten werden in Halbe eingebettet

03. September 2020
Halbe/Brandenburg, Waldfriedhof

Den Toten ein Stück Würde zurückgeben

Gerhard Blösch steht auf der Wiese und ringt nach Fassung. Seine Frau hält seine Hand fest. „Hier wurde er gefunden“ sagt er. Nach 75 Jahren bekommt mein Großvater hier sein Grab“. Der Großvater, ursprünglich aus dem Badischen, galt lange Zeit als vermisst. Nun weiß Gerhard Blösch, endlich, wo er sein Grab besuchen kann, einen Platz für seine Trauer findet. Der Soldat aus Süddeutschland hat seine letzte Ruhe  in Halbe in Brandenburg gefunden. Er ist einer der 170 Toten, die am 3. September in Halbe in einer feierlichen Zeremonie – 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges - endlich ein würdiges Grab gefunden haben.

An diesem sonnigen Vormittag fanden sich zahlreiche Menschen auf dem Gelände des Waldfriedhofes ein. Viele Angehörige, eine Schulklasse des Gymnasiums Königs Wusterhausen, etliche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft, Vertreter der britischen, der französischen und der ukrainischen Botschaften sowie zahlreiche Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren zu der feierlichen Einbettung gekommen. Sie alle wurden von Oliver Breithaupt, Landesgeschäftsführer des Volksbundes in Brandenburg herzlich begrüßt und – natürlich – auf die Abstandsregeln hingewiesen.

Für die passende Musik zur Einbettungsveranstaltung sorgte das Landespolizeiorchester Brandenburg. Wir sind heute gekommen, um junge Menschen zu begraben!“, erklärte der katholische Bischof Wolfgang Ipolt aus dem Bistum Görlitz.

Dass auf Kriegsgräberstätten vorwiegend Menschen in ihrem Alter begraben sind, ist häufig für junge Menschen im ersten Moment erstaunlich, denn sie verbinden Friedhof mit Alter. Diese Erkenntnis schafft eine unerwartete Beziehung zu den Toten auf dem Friedhof.

Nicht auf den Toten herumtrampeln, in dem die alten Fahnen geschwenkt werden

Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Dr. Christian Stäblein betonte die Rolle des Volksbundes als Versöhner und Friedensstifter:

„Noch immer finden wir, finden Sie die Toten, die Gefallenen, die im Schrecken des Krieges hier Verbrannten, die Täter und die Opfer. Das ist die Wahrheit auch 75 Jahre nach Kriegsende. Wir müssen das immer wieder übersetzen, der nächsten Generation vor Augen führen, damit niemand den Schrecken, das unglaubliche Morden dieses Krieges und eines jeden Krieges vergisst. Umbetten – es ist der schmerzvolle, uns bleibende Versuch, den Toten Würde und Menschlichkeit, ja ein minimales Stück Schönheit wieder zu geben, die jedes Leben hat und jedem Leben zukommt.(….)

Die Toten sind uns ja voraus. Und sie mahnen uns an dieser Stelle. Dass wir in eine andere Zukunft gehen. Die Hände des Friedens ausstrecken. Und also: nicht auf den Toten herumtrampeln, indem die alten Fahnen wieder geschwenkt werden, wie das letzte Woche geschehen ist. Schrecklich, beschämend, hässlich. Die Fratze der Gestrigen, die nichts gelernt haben und nur ins Elend des Hasses zurückführen.“ Er schloss die Predigt ab mit Worten aus den Seligpreisungen, die gut zur Arbeit des Volkbundes passen: „Selig sind die, die erinnern, über den Gräbern, dass es nicht wieder geschieht. 

Die einstigen Gegner streckten uns die Hand entgegen

Der Landrat des Landkreis Dahme-Spreewald, Stephan Loge begrüßte die Ehrengäste aus den Botschaften, Mitglieder des Bundestages und des brandenburgischen Landtages, die militärischen Würdenträger und die Vertreter der Geistlichkeit. Loge erinnerte die Zeit nach 1945 und fragte: „Konnte dieses Deutschland überhaupt auf Unterstützung beim Aufbau hoffen? […] Die einstigen Gegner streckten uns die Hand entgegen“.

Die Toten mahnen uns, aufzustehen

Der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen dankte dem Volksbund für seine Arbeit und betonte die Tatsache, dass noch immer, nach 75 Jahren zahlreiche Gebeine Gefallener gefunden werden. Auf dem Friedhof in Halbe liegen 24.000 Tote und 4.500 Tote aus dem Lager Ketschendorf. „Es sind Gebeine von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die ihre Kindheit im Krieg erlebten. Uns ist bewusst, es sind nicht nur Opfer, es sind auch Täter. Es zeigt, Krieg unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse. Krieg tötet immer. Wir müssen dankbar sein, in Frieden zu leben.“ Mit einem Blick auf die Gegenwart betonte er: „Die Toten mahnen uns, aufzustehen, wenn Menschen verunglimpft werden… ein friedliches Leben verlangt keine einheitliche Auffassung. Aber Respekt, Würde und körperliche Unversehrtheit.“  Nach diesen eindringlichen Worten wurden zahlreiche Kränze und Blumen niedergelegt.

Wolfgang Wieland, Vizepräsident des Volksbundes, sprach das Totengedenken, Militärpfarrer Matthias Spikermann spendete den Segen für die Toten. Bevor die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr die Einbettung abschloss, hatten die Angehörigen die Möglichkeit, noch einmal Abschied zu nehmen. Gerhard Blösch hat eine Schatulle mit einem Brief für seinen Großvater ins Grab gelegt. Er ist dankbar. „Nun kann ich das Kapitel abschließen“.

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