Wer beim Besuch einer deutschen Kriegsgräberstätte des Ersten Weltkrieges Grabzeichen mit dem Davidstern und hebräischen Buchstaben sieht, wird daran erinnert, dass in diesem Krieg 100 000 Deutsche jüdischen Glaubens als Soldaten eingezogen wurden, von denen 12 000 fielen.
Im Testament des am 19.9.1915 als Flieger abgestürzten Leutnants Josef Zürndorfer lesen wir: „Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein bedrängtes Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die volle Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten.“ Die ersehnte Gleichberechtigung bleibt aus. Jüdische Soldaten werden nach dem Krieg von Antisemiten, später von Nationalsozialisten als Drückeberger verleumdet.
Als Selbsthilfeorganisation gründen sie 1919 den „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“. In Flugblättern, Broschüren und auf Versammlungen leistet der Reichsbund eine mühevolle Aufklärungsarbeit über Tod und soldatische Leistungen der jüdischen Frontkämpfer: 17 000 von ihnen sind mit dem Eisernen Kreuz Zweiter Klasse, 1 000 mit Erster Klasse ausgezeichnet worden. 2 000 waren Offiziere, 1 200 Militärärzte und -beamte. Der jüngste Kriegsfreiwillige des deutschen Heeres, Josef Zippes, kommt aus ihren Reihen, der erste Pour-le-mérite-Träger der deutschen Fliegertruppen, Wilhelm Frankl, und der sozialdemokratische Reichtagsabgeordnete Dr. Ludwig Frank, der am 3.9.1914 als Kriegsfreiwilliger an der Westfront gefallen ist. Der Reichsbund hofft nach 1933, dass die jüdischen Frontsoldaten von den antijüdischen Maßnahmen des Hitler-Regimes ausgenommen werden. Zwar sind sie von dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ nicht betroffen, aber ihrem Begehren nach Aufnahme in Wehrmacht und Arbeitsdienst wird nicht stattgegeben, und 1935 werden auch die jüdischen Frontkämpfer als Beamte entlassen. Der Reichsbund zieht aus dem Scheitern seiner Politik die Konsequenzen und setzt sich fortan für die Auswanderung ein. Nach der Pogromnacht vom 9./10. November. 1938 stellt er seine Tätigkeit ein. Den Weg in die Gaskammer müssen während des Holocaust auch jüdische Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges gehen.
Jedes Jahr gedenken Vertreter der Jüdischen Gemeinde Berlins und des Zentralrats der Juden, des Bundesministeriums der Verteidigung, der Bundeswehr und des Volksbundes am Gräberfeld der Jüdischen Frontkämpfer auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee an die jüdischen Kriegstoten sowie die Opfer der Schoah. Zugleich bezeugen sie ihre Solidarität mit dem Jüdischen Leben im heutigen Deutschland und würdigen den Einsatz Jüdischer Soldaten in der Bundeswehr. Einen Nachbericht zur Gedenkveranstaltung 2020 finden Sie hier.
Zudem erinnert der Volksbund an jüdische Zivilisten, die sich im Ersten Weltkrieg karitativ und gesellschaftlich engagierten und beispielsweise Kriegswaisen, Familien und Kriegsverwundete und -versehrte unterstützen. 2020 wurde in der Marburger Straße in Berlin-Charlottenburg für die jüdische Frauenrechtlerin und Philanthropin Hermine Lesser ein Stolperstein an ihrem letzten Wohnort vor der Deportation ins KZ Theresienstadt verlegt, wo sie 1943 ums Leben kam. Während des Ersten Weltkriegs unterstützte Hermine Lesser verschiedene Sozialprojekte. Zudem engagierte sie sich in der Zwischenkriegszeit für den Jüdischen Frauenbund im Verwaltungsrat des Volksbundes, bevor sie aus ihrem Amt gedrängt und später aus dem Verein ausgeschlossen wurde.
Auch bei anderen Gedenkanlässen erinnert der Volksbund mit Vertretern Jüdischer Gemeinden an die Jüdischen Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs sowie an den Beitrag Jüdischer Soldaten in den alliierten Streitkräften bei der Befreiung Europas von der NS-Herrschaft, wie zuletzt am 8. Mai 2020 in Berlin auf dem Jüdischen Friedhof an der Heerstraße oder bei verschiedenen Gedenkveranstaltungen auf Kriegsgräberstätten des Ersten Weltkriegs in Frankreich oder Belgien.
Unter den 500 000 namentlich bekannten deutschen Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Frankreich sind auch 3 000 Kriegstote jüdischen Glaubens. Gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden und der Rabbinerkonferenz in Deutschland beschließt der Vorstand des Volksbundes 1968, die Gräber dieser Toten mit Stelen zu kennzeichnen. Neben einer Gravur des Davidsterns und den persönlichen Daten des Gefallenen tragen die Stelen einen Spruch in hebräischer Sprache. Er lautet: „Möge seine Seele eingeflochten sein in den Kreis der Lebenden.“